Interview Dr.Leibl

Die Vision vom großen Park in zwei Ländern

Ein Erfolgsprojekt: Der Nationalpark Bayerischer Wald wird 50 Jahre alt 
- Ein Gespräch mit dem Leiter Dr. Franz Leibl  

PNP 23.05.2020 | Stand 22.05.2020, 23:33 Uhr      

Neuschönau. Eigentlich hätte an diesem Wochenende das Fest der Region zum 50. Geburtstag des Nationalparks Bayerischer Wald gefeiert werden sollen, dem ein reichhaltiges Jubiläumsprogramm gefolgt wäre. Die Corona-Pandemie verhindert das große Feiern. Wir haben uns mit Nationalparkchef Dr. Franz Leibl (63) unterhalten. Im PNP-Gespräch zieht er Bilanz und blickt in die Zukunft. Seit 2011 hat der Naturschützer und Ornithologe als erster Niederbayer die Leitung des Parks inne.     

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Dr. Franz Leibl sieht den Nationalpark als Daueraufgabe: Er möchte ihn so entwickeln, dass auch kommenden Generationen ein Naturerlebnis möglich ist. -Foto: Rammer   

Der Nationalpark wollte groß seinen 50. Geburtstag feiern. Die Corona-Pandemie kam dazwischen. Wie wird das Jubiläum begangen?

Dr. Franz Leibl: Das hat massive Auswirkungen. Es war ein umfassendes Jubiläumsprogramm aufgelegt, beginnend mit Festakten, Tagen der Region, der offenen Tür. Davon ist nichts übrig geblieben. Wir haben alles abgesagt, auch den internationalen Rangerkongress vom 11. bis 16 Mai. Die Feierlichkeiten beschränken sich auf das Bedienen digitaler Medien. Es ist gerade schwierig, in Feierlaune zu verfallen. 

Ist alles aufgehoben oder nur aufgeschoben? 

Dr. Leibl: Das angedachte Programm, beginnend bei der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin und endend mit Festen in der Region, werden wir so nicht mehr auflegen. Angedacht ist es, einen größeren Festakt und ein Fest der Region nächstes Jahr nachzuholen.
 
Wie wirkt sich generell die Corona-Krise kurz-, mittel- und langfristig auf den Nationalpark aus?

Dr. Leibl: Es hat keine Auswirkung auf die Nationalpark-Natur, die Entwicklung im Park. Wir hatten 70 Prozent weniger Besucher als 2019 draußen in der Fläche. Jetzt verspüren wir wieder einen deutlichen Andrang. Letztes Wochenende waren unsere Parkplätze voll bis auf den letzten Platz. Auswirkungen gibt es auf das Führungsangebot und die Umweltbildung, die komplett eingestellt ist. Wir dürfen die Leute nicht zusammenbringen. Die Naturvermittlung ruht. Nach den Öffnungen seit 11. bzw. 18. Mai sind Regeln zu beachten. Es kann nicht jedes Tiergehege besucht werden. Es ist eine organisatorische Herausforderung. In die Häuser dürfen nur 50 Besucher gleichzeitig rein. 

Gab es finanzielle Einbußen?

Dr. Leibl: Für uns nicht, aber für die Pächter der Gastronomie und der Läden. Da geht es ans Eingemachte. 

Zum Jubiläum: Ihre Vorgänger haben je auf ganz eigene Art und Weise ihre Spuren hinterlassen. Wie würden Sie in knappen Sätzen die jeweilige Leistung Ihrer Vorgänger charakterisieren?

Dr. Leibl: Das Fundament für den Park hat mit Sicherheit Dr. Hans Bibelriether gelegt. Er hat die große Richtung vorgegeben, was Nationalpark ist, welche Inhalte verfolgt werden. Er hat dafür gesorgt, dass die Grundausrichtung fixiert ist mit einem komplexen Aufgabenbereich, Umweltbildung, Forschung, Naturerleben hat er auf den Weg gebracht. Karl Sinner ist zu einem Zeitpunkt gekommen, als die Nationalparkerweiterung war, er war der große Kommunikator, der den Ausgleich mit der Bevölkerung gesucht, und der die Erweiterung in ein vernünftiges Fahrwasser gebracht hat. Der eine steht für das Fundament, der andere steht für das Weiterbauen.  

Was sehen Sie als Ihren eigenen Beitrag an?

Dr. Leibl: Ich festige die Fugen (lacht herzhaft). Ich möchte Entstandenes in dieser Qualität erhalten und bewahren. Dieser Park ist ja eine Daueraufgabe, er ist nie fertig. Dieser Aufgabe muss man sich annehmen. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, der Nationalparkforschung den Raum zu geben, den man braucht, um das heranreifende Waldökosystem zu verstehen. Damit man Ableitungen in Richtung Wirtschaftswälder machen kann. Ich sehe den Park nicht isoliert, sondern verbunden mit dem Nationalpark Šumava, dass wir es schaffen, mit Šumava eine gemeinsame Gebietsentwicklung hinzubekommen, so dass ein großes Gebilde im Herzen Mitteleuropas entsteht mit der gleichen Zielausrichtung, den gleichen Entwicklungsschritten, der gleichen Zukunft. 

Ist das eine Vision?

Dr. Leibl: Ja, aber eine Vision, die sich schon konkretisiert. Der Kollege Pavel Hubený sieht uns als Blaupause und versucht, bestimmte Aspekte auf seinen Park zu übertragen. Zum Beispiel hat er letztes Jahr den großen Komplex an Naturzonen durchgesetzt, der identisch ist mit unseren Naturzonen "Natur Natur sein lassen", so dass wir im Prinzip schon ein großes gemeinsames Naturzonenkonzept haben. Der zweite Schritt wäre die Entwicklung eines grenzübergreifenden Naturerlebens. Da sind Überlegungen im Gange, die müssen noch reifen und in Maßnahmen gegossen werden. Da gehören auch die Blauen Säulen dazu.

Wo es aber gerade hakt.

Dr. Leibl: Man soll nie aufgeben. Wir vertreten eine gleiche Meinung und Haltung, dass es eine ideale Sache wäre, um grenzübergreifende Wanderungen zu ermöglichen. Auch wenn es auf tschechischer Seite noch naturschutzfachliche Vorbehalte gibt, muss man sich konstruktiv auseinandersetzen und nach Lösungen suchen.
 
  Hohe Zustimmungsquote in der Bevölkerung

Glauben Sie, dass da bald was weitergeht?

Dr. Leibl: Wie lange es dauert, kann ich nicht sagen. Sowohl Pavel Hubený als auch ich als Leiter sind bemüht, da eine Öffnung zu bekommen. Gleichwohl haben wir Belange zu würdigen, die andere vorbringen oder die gesetzlich gegossen sind. Es geht in Tschechien im Moment darum, ob ich eine Ausgleichsgeschichte mache für die Auerhühner, wenn ich öffne. Und über die Größe dieser Ruhezone macht man sich Gedanken. Es gibt tschechische Dorfbürgermeister, die keine Ruhezone akzeptieren und die das Ganze erschweren. Durch Reden, Erklären und Konsensbildung kann man es schaffen, die Blauen Säulen zu öffnen.
 
Gibt es letztlich nicht doch große Probleme, einen Park zu schaffen, der über zwei Länder reicht?

Dr. Leibl: Natürlich gibt es Unterschiede, aber die grobe Zielsetzung muss gleich sein. Da sind die ersten Schritte gemacht. Es ist noch lange nicht zu Ende. Es gibt Unterschiede, die noch lange bleiben. Šumava hat eine andere Historie und Grundentwicklung. Das heißt aber nicht, dass man nicht das gemeinsame Großschutzgebiet im Kopf haben soll. Vision wäre ein gemeinsames Nationalparkgebilde mit einer gemeinsamen Verwaltung. Für die Mittelgebirgslandschaft und die Natur wäre es das Allerbeste, wenn man einen großen grenzüberschreitenden Nationalpark hätte, der von beiden Gesellschaften mitgetragen wird. 

Die Erfolgsgeschichte ist das eine, Gegnerschaften sind das andere. Wie ordnen Sie die Stimmen der Kritiker ein?

Dr. Leibl: Wenn man 100 Prozent Zustimmung hätte, hätte man was falsch gemacht. Wir haben in der lokalen Bevölkerung aktuell eine Zustimmungsquote von 86 Prozent, das ist sehr viel, bayernweit liegt die Quote bei 96 Prozent. Es gibt nach wie vor Skeptiker, Kritiker, auch Gegner, die allerdings nicht mehr so lautstark sind wie in der Vergangenheit. Das hängt mit einem Generationenwechsel zusammen, auch wie sich der Park nach außen gibt. Da haben wir gute Fortschritte gemacht, auch für die Waidler selber. Der Park muss sich als Teil der Region verstehen. Dann geht das Miteinander. Es wird immer Leute geben, die mit dieser Philosophie des Nichtstuns nicht zurechtkommen. Es gibt immer Menschen, für die die Welt nur zu ihrem Nutzen da ist. Dass Natur ein Eigenrecht hat, kann der eine und andere nicht akzeptieren. 

Gerade besinnt mancher sich ja auf die Werte der Natur. Eine Chance?

Dr. Leibl: Der Mensch muss sich bewusst sein, dass er Teil dieser Natur weltweit ist, dass er der Natur auch Raum geben muss. Die Pandemie kommt ja wahrscheinlich aus dem Tierreich. Wenn wir die Natur immer stärker einengen, und wir uns immer stärker des Erdballs bemächtigen, dann kriegen wir solche Probleme verstärkt. Den Menschen wird jetzt schon bewusst, dass Natur einen Riesenwert hat und man mit ihr sorgsamer umgehen muss, einfach um zu überleben. 

In Afrika und Asien gehören die großen Säugetiere zu den am meisten gefährdeten Arten. Überleben auch bei uns die größeren Tiere nur noch in Nationalparks?

Dr. Leibl: Die Größe des Parks reicht für den Erhalt von Großtieren wie Luchs oder Rothirsch alleine nicht aus. Das sind Tierarten, die große Räume beanspruchen. Da brauche ich die Akzeptanz in der Bevölkerung. Auf 24000 Hektar kann sich keine Luchspopulation halten. Deshalb muss Šumava mit ins Boot geholt werden für ein Großschutzgebiet, damit den kommenden Generationen eine Faunengemeinschaft bewahrt werden kann, die für diese Mittelgebirgslandschaft steht.
 
"Der Wolf kann in diesem Waldgebirge leben"

Große Räuber wie Wolf oder Luchs gibt es nur, wenn man großflächig aufgestellt ist?

Dr. Leibl: Wir haben 69000 Hektar Šumava, 24000 Hektar Bayerischer Wald, also gut 90000 ha, das ist schon mal ein Anfang, aber selbst diese Fläche wäre nicht ausreichend, wenn diese Tiere keine Grundakzeptanz in der Bevölkerung haben. Wir können vielleicht zwei Wolfsrudel in der Fläche haben, aber die haben Junge und die wandern ab. Wenn ich in überlebensfähigen Populationen denke, sind zwei Rudel gar nichts.

Bleibt der Wolf also eine Illusion?

Dr. Leibl: Das sehe ich gar nicht so. Wir haben seit 2015 Wölfe. Die kriegt der Normalbürger bloß visuell nicht mit, weil sie sehr heimlich sind. Der Wolf kann in diesem Waldgebirge leben, er kann auch mit dem Mensch leben, wenn der Mensch denn das will. 

Wie ist es denn um die Akzeptanz bestellt?

Dr. Leibl: Das grenzübergreifende sozioökonomische Monitoring stellt fest, dass die Akzeptanz im Nationalpark in Tschechien höher ist als bei uns. Bei uns haben 70 Prozent mit dem Wolf kein Problem, während in Tschechien noch mehr Menschen den Wolf neutral bis positiv sehen. Das hängt auch mit unserer intensiv besiedelten Kulturlandschaft zusammen. 

Von der Fauna zur Flora: Borkenkäfer, Stürme, Klimawandel verändern den Wald massiv. Kann ein Nationalpark da eine Experimentierstube der Natur sein, die zeigt, wie der Wald künftig aussehen wird?

Dr. Leibl: Störereignisse können auf großer Fläche Wälder gestalten. Der Wald verschwindet aber nicht, er etabliert sich wieder. Dort wo vor der Kalamität Wald war, ist auch nach der Kalamität wieder Wald. Nachdem wir das System nicht manipulieren, wächst der Wald so, wie die Natur es ihm vorgibt. Das heißt schlicht und einfach auf den Klimawandel bezogen: Unsere Bäume, die jetzt heranwachsen, wachsen mit Voraussetzungen hoch, die es vor 50 Jahren so nicht gegeben hat. Der Mutterbaum ist zu einem Zeitpunkt gewachsen, wo es regelmäßig geregnet hat. Er hat ein Wurzelsystem ausbilden müssen, das anders ausschaut wie das eines Baumes, der jetzt heranwachsen muss, der weiß, dass er im Sommer Trockenstress hat und er die Feinwurzeln anders ausbilden muss. Von daher wächst bei uns ein Wald unter abiotischen Voraussetzungen hoch, die es vor 50 Jahren so nicht gegeben hat. Es ist zu prüfen, ob die Bäume Anpassungsmerkmale an diese neue Klimasituation zeigen. Das müssen wir über Forschung herauslesen. Das Ergebnis kann ich dann auf die Forstwirtschaft übertragen. Ich kann mir Gedanken machen, wie die jetzige junge Waldgeneration mit den geänderten Bedingungen zurecht kommt. Wir haben hydrologische Datenreihen aus 40 Jahren. Damit können wir herauslesen, wie sich der Wasserhaushalt verändert und welche Konsequenzen sich für Waldökosysteme ergeben. 

Der Deutschen liebstes Kind, der Wald, wird sich ändern, aber er wird nicht verschwinden?

Dr. Leibl: Verschwinden wird er auf gar keinen Fall. Er wird sich anders ausprägen, vor allem im forstwirtschaftlichen Bereich wird es andere Baumartenzusammensetzungen geben. Die Fichte wird nicht mehr die Dominanz haben, wie wir es gewohnt sind. Wie der Wald ausschaut, ist jetzt nicht abzuschätzen. Aber es ändern sich auch die Naturwälder, hinsichtlich der Struktur, hinsichtlich der Biodiversität. 

Was hat man da in den 50 Jahren gelernt?

Dr. Leibl: Wir haben gelernt, dass der Wald sehr gut ohne den Menschen klarkommt. Ich brauche den Menschen nicht als Waldgestalter und Walderhalter. Das kann die Natur mindestens genauso gut. In den 90er Jahren gab es die Befürchtung, dass aus dem Hochwald eine Grassteppenlandschaft wird. Dort wo Wald gestanden ist, gibt es heute einen jüngeren Wald, mit einer anderen Struktur, mit einer größeren biologischen Vielfalt. Aber es ist Wald entstanden, sogar mit den gleichen Baumarten. 

Kann man das Bedürfnis nach Naturerleben und das Bedürfnis von Fauna und Flora, in Ruhe gelassen zu werden, zusammenbringen? 

Dr. Leibl: Wenn ich vernünftige Menschen habe, die Natur genießen wollen, aber gleichzeitig auch bereit sind, Natur zu respektieren, dann schon. Wenn die Leute machen, was sie wollen, was man im Park gerade auch verspürt, dann schaffen wir es nicht. Dann hat der Park aber auch seine Zielsetzung nicht erreicht. Ein Miteinander geht nur, wenn der Mensch bereit ist, Rücksicht auf die Natur zu nehmen, wenn er Regeln einhält

. Unterstützer: Eisenmann, Stoiber, Glück, Bocklet 

Die Politik hat ja ihren Teil beigetragen zur Nationalparkgeschichte. Wie fällt denn die Bilanz hinsichtlich der Kooperation aus?

Dr. Leibl: Der Nationalpark Bayerischer Wald hätte diese 50 Jahre nicht überstanden und würde nicht diese heutige ökologische Qualität aufweisen und die Bedeutung als Naturerlebnisgebiet haben, wenn es nicht immer politisch Verantwortliche gegeben hätte, die ohne Wenn und Aber zu diesem Nationalpark gestanden hätten. 

Sie haben ja ganz bewusst deshalb dieses Haus, in dem wir sitzen, Hans-Eisenmann-Haus nach dem damaligen Landwirtschaftsminister benannt?

Dr. Leibl: Richtig, das war einer dieser Politiker, der in den frühen Tagen der Gründung die maßgeblichen politischen Weichenstellungen gestaltet und betrieben hat. Das war der Minister, der die Zielsetzung Natur Natur sein lassen mit dem Sommersturm 1983 implementiert hat. Hätte er gesagt, wir arbeiten Windwürfe auf wie immer, dann wäre der Park nicht so entstanden. Ministerpräsident Edmund Stoiber steht für die Erweiterung und dafür, dass die Inhalte bewahrt blieben. Der damalige Landtagspräsident Alois Glück hat sich immer zu diesem Park positiv geäußert. Zu nennen ist auch Reinhold Bocklet. Sie alle haben die Zielsetzung dieses Parks festgezurrt und politisch mitgetragen. Ohne diese Persönlichkeiten würde der Park nicht dieses Renommee haben. Interview: Dr. Stefan Rammer


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