Nationalpark und Wildnis

von Heinrich Vierlinger Waldführer im Nationalpark Bayerischer Wald

 

 

Die werdende und in weiten Teilen, besonders im Rachel-Lusen- und Mauth-Finsterau-Gebiet  schon vorhandene Wildnis im Nationalpark Bayerischer Wald ist das Thema und der momentane „Dauerbrenner“ in vielen Medien, nicht nur in den regionalen. Von euphorischer Befürwortung bis hin zu strikter Ablehnung  reicht das Meinungsspektrum. Auch in den politischen Gremien der Anrainer gehen die Meinungen auseinander. So befürwortete z.B. der Kreistag Freyung-Grafenau die Werbung mit dem Begriff „Europas Wildes Herz “,was in unserer Stellungnahme vom  Oktober 2009 ausdrücklich begrüßt wurde, der Regener Kreistag stellte sich aber beinahe einmütig dagegen.

Auch die soeben gestartete wissenschaftliche Vortragsreihe der Nationalparkverwaltung stellt die Vorträge des kommenden Winters unter das Motto “Tierisch wild“ und so war auch der

Einführungsvortrag von Ursula Schuster zu dieser Reihe mit dem Thema

 

“Was ist Wildnis? Viele reden davon- aber nur wenige haben wirklich tieferen Einblick“

 

 am 26.11.09 im Waldgeschichtlichen Museum in St.Oswald eine gute und zielführende Einstimmung  dazu, wobei sich auch dabei deutlich unter den Zuhörern zeigte, wie unterschiedlich der Begriff „Wildnis“ interpretiert werden kann und wird.

 

Ich möchte in diesem Beitrag einige Aspekte einbringen, die ich in der Diskussion oftmals vermisse:

 

1. „Natur,Natur sein lassen“ führt zwangsläufig zur Wildnis.

 

Die kurz und knapp gefasste Zielsetzung der Nationalparkphilosophie wurde und wird zwar von vielen mehr oder weniger zustimmend zur Kenntnis genommen. Mir scheint aber, dass es nicht wenige gibt, die sich der daraus folgenden Konsequenz , nämlich „Wildnis“ nicht unbedingt bewusst sind und waren. Wenn man also für Natur, Natur sein lassen ist, müsste man sich eigentlich über das Resultat Wildnis freuen.

 

2. Wie sahen eigentlich die Menschen vor hundert und mehr Jahren die damals zweifellos in weiten Teilen  vorhandenen urwaldartigen Bereiche des bayerisch-böhmischen Grenzgebirges. Sicher ist, sie verwendeten den Begriff Wildnis (noch)nicht, sie beschrieben aber ihre Gefühle sehr emotional und mit bildhaften Worten wie es besser kaum geht.

 

Ich möchte dazu Texte von zwei weit über unsere Grenzen hinaus bekannten Persönlichkeiten heranziehen, nämlich den Königlich Bayerischen Hofrat und exzellenten Kenner seiner Waldheimat Maximilian Schmidt,genannt Waldschmidt(1832-1919), der übrigens auch der Begründer der Waldvereine in Bayern war, und die berühmte Dichterin des Bayerischen Waldes Emerenz Meier(1874-1928).

So hinterließ uns z.B.Maximilian Schmidt in einer seiner Beschreibungen der noch immer urwaldartigen Waldstrukturen folgendes:

 

„So etwa muss man selbst sehen, es lässt sich nur schwer schildern.

Wenn man plötzlich hierher in den Urwald gelangt,

wo der Wald sich selbst überlassen bleibt,

wo keine Menschenseele eingegriffen hat,

so ist man im ersten Augenblick nicht gerade entzückt.

Nach und nach aber überkommt einem doch ein heiliges Stauen

über das Leben und Weben, Aufbauen und Zerstören der Natur.

Hier scheint ein Leichengarten von Gefallenen,Vermoderten zu sein,

dort stehen riesige Tannen mit langen grauen Moosbärten,

gerippeähnliche,von der Rinde entblößte Stämme stehen zwischen Felsblöcken,

die mit allem möglichen Gestrüpp umwachsen sind,

hier liegt ein entwurzelter Baum,der im Sturze andere mit zu Boden schlug.

Dann wechseln wundervolle Gruppen von Nadel-und Laubholz,

Buchen und Ahorn und Eschen mit fast haushoch übereinanderliegenden,

durch Windbrüche entwurzelten Bäumen.

Hier ist es nicht so still wie im Hochwald.

Man vernimmt fortwährend ein Knistern,ein Zusammenbrechen,

ein Abbröckeln von Rinde,ein fallender Tannenzapfen.

Es arbeitet die Natur.

Sie zeigt uns Leben und Tod,Werden  und Vergehen.

Wie fühlt man sich da beim anstarren all’dieser Größe so winzig,so klein,so gar nichts,

man schaut nur und schweigt.“

 

 

Von Emerenz Meier  habe ich Teile ihrer Gedichte „Der Böhmische Wind“ und „Mein Wald,mein Leben“ ausgewählt. Ihr Zugang zu den Waldbildern der damaligen Zeit war sicherlich ein anderer als der eher naturwissenschaftlich begründete von Maximilian Schmidt:

 

Der böhmische Wind

 

Der böhmische Wind weht die Täler voll Schnee,

Legt eisige Fesseln um Bäche und See.

Bricht Tannen im Walde und Föhren am Saum

Und heulet die Erde in Schlummer und Traum.

 

Doch schadet den fröhlichen Wäldern er nicht,

Macht frischer ihr Blut nur und rot ihr Gesicht.

Facht heller das Feuer im Auge voll Mut,

Hält rein auch die Herzen,treu,selbstlos und gut.

 

 

 

Mein Wald,mein Leben

 

Ich sah den Wald im Sonnenglanz,

Vom Abendrot beleuchtet,

Belebt von düstrer Nebel Tanz,

Vom Morgentau befeuchtet:

Stets blieb er ernst,stets blieb er schön,

Und stets mußt’ ich ihn lieben.

Die Freud’an ihm bleibt mir besteh’n

Die anderen all zerstieben.

 

Ich sah den Wald im Sturmgebraus,

Vom Winter tief umnachtet,

Die Tannen sein in wirrem Graus,

Vom Nord dahingeschlachtet;

Und lieben mußt’ich ihn noch mehr,

Ihn meiden könnt’ ich nimmer.

Schön ist er,düsterschön und hehr,

Und Heimat bleibt er immer.

 

Ich sah mit hellen Augen ihn,

Und auch mit tränenvollen;

Bald hob er meinen frohen Sinn,

Bald sänftigt’er mein Grollen.

In Sommersglut,in Winterfrost,-

Konnt’er mir mehr nicht geben,-

So gab er meinem Herzen Trost;

Und drum:Mein Wald,mein Leben!

 

Beide verwendeten den Begriff „Wildnis“ nicht, sie wurde aber beschrieben, mit Worten wie es besser kaum geht. Sie waren emotional ergriffen, aber nicht bestürzt, Sie hatten Vertrauen zu “Mutter Natur“ und ihren Kräften.

 

3.In unseren Tagen wollen immer mehr Menschen unberührte Natur und Wildnis mit allen Sinnen erleben. Es wird dafür viel Geld ausgegeben. Bodenmais wirbt mit Erfolg mit dem  Wildnisangebot.Abenteuerurlaube und Managerseminare in der Wildnis sind beliebt und begehrt. Wir haben das, wofür andere weite Reisen auf sich nehmen direkt vor der Haustür und nutzen dieses Potenzial relativ schlecht, manche sind sogar dagegen. Es wird höchste Zeit, dass sich die verantwortlichen Leute auf dieses „Pfund“ um das uns anderswo Leute beneiden, besinnen.

 

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