Der Neuanfang im Hochwald am Dreisessel

 

Diskussionspapier

 zur Wiederaufnahme der Waldweide am Dreiländerberg

 

 

 

„Die Spatzen pfeifen es von den Dächern“:

 

Kyrill hat ein Zeichen gesetzt und wieder saftige Bergweiden geschaffen. Die Kühe im Tal haben die Nasen in den Wind gehalten, riechen schon Siebenstern und Arnika und denken insgeheim bereits an „Stall-Flucht“ und Almauftrieb.

 

Nach fast 100 Jahren Abstinenz lechzt aber auch die Landschaft und die noch übrig gebliebenen Bäume am Dreisessel nach dem früher überall selbstverständlichen und höchst heilsamen Einfluss der Weidetiere.  Geht dieser Einfluss über längere Zeit verloren, dann verarmt die Kraut- und Pilzflora, sowie die gesamte Kleinlebewelt im und über dem Boden und dies zehrt letztlich auch an der Lebenskraft der Bäume auf dem Berg.

 

Ehedem im Übermaß dosiert, hat man diesem Heilmittel jedoch bekanntlich einen schlechten Ruf verschafft und so schlug das Pendel ins andere Extrem: es wurde in Deutschland jahrzehntelang fast flächendeckend zur „Trennung von Wald und Weide“ aufgerufen und damit in vielen Fällen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Die Folgen sind unübersehbar.

 

Heute ist unter Ökologen ein Umdenken im Gange und eine dosiert-differenzierte Wieder-Einführung der Waldweide mit neuen ökologisch/ökonomischen Vorzeichen ist mittlerweile in aller Munde.

 

In den anderen betroffenen Fachdisziplinen (Forst- und Landwirtschaft) steht man diesbezüglich erst am Anfang. Bewegung und Bereitschaft zum Umdenken ist aber auch hier erkennbar und wird durch zunehmendes Versagen alter Konzepte in vielen Fällen auch zu einer zwingenden Notwendigkeit:

 

·        Entwicklungen in der Landwirtschaft erfordern neue Wege in Hinblick auf nachhaltige und gesicherte Erzeugung qualitativ hochwertiger Nahrungmittel. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist nach den Seuchen-Skandalen der vergangenen Jahre auch ein neues Leitbild für Tiergesundheit und für neue Haltungsformen.

·        Vitalitäts-Defizite bei allen Forstgehölzen und gravierende Verluste an Tier- und Pflanzenarten in der Landschaft durch „ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft“, verbunden mit einem allgemeinen Rückgang der Bodenfruchtbarkeit zwingen zum Hinterfragen tradierter Lehrmeinungen und zu einem Blick über den Tellerrand.

·        Neue weltweite Energie- und Ernährungs-Fragen lassen sich ebenfalls nicht mit alten Antworten lösen, sondern verlangen neben vielem Anderen auch eine weitgehende Regionalisierung der Landwirtschaft (keine Milchlaster durch ganz Europa u.a.m.!).

 

 

Wie hat es früher ausgesehen?

 

Zurück zum Dreisessel. Von dem Krummauer Herrschaftsdirektor Ernest Mayer werden 1830 die Hochlagen als mit bis zum Boden beasteten Einzelbäumen und kleinen Baum/Gebüschgruppen und in den „baumleeren Zwischenräumen mit verschiedenem Gesträuche, dem wuchernden Farrenkraute und auch mit nahrhaften Gebirgspflanzen bedeckt...“ beschrieben. 

Und Adalbert Stifter erlebte den Berg seinerzeit so, dass man „...wenn man die Länge des Waldes hinreisete, überall die Rinderglocken hörte...“ ( Paul Praxl, 1979, „Der Dreiländerberg“)

Nach Kyrill kann man sich das heute wieder ganz gut vorstellen und nach ökologischer „Katastrophe“, wie gewisse Kreise meinen, eine solche Szenerie immer noch empfinden zu müssen, klingen obige Zitate auch nicht.

Im Gegenteil:

Vieles, was heute hochbedroht ist, war damals Allerwelts-Tier oder -Pflanze und mit einer gut dosierten Rückkehr der Weidetiere werden z. B. auch für Auer- und Haselhuhn wieder bessere Zeiten anbrechen (im Hochgebirge ist der Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Waldweide und dem Rückgang der Rauhfußhühner gut dokumentiert, hier, wie auch im Bayerwald kam das Auerwild bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts noch bis in die Tallagen vor).

 

Bis zum Boden beastete Einzelbäume werden zwar die Augen von Förstern und Holz-verarbeitern nicht gerade zum Glänzen bringen, aber das große Geschäft ist mit der Holzproduktion im Hochwald noch nie zu machen gewesen. Auch deshalb ist der Gebirgskamm beidseits der Staatsgrenze seit vielen Jahrzehnten als Naturschutzgebiet ausgewiesen und somit steht die forstwirtschaftliche Nutzung nicht mehr im Vordergrund. 

 

 

Ziegen werden die ersten sein

 

Die Kühe werden allerdings noch nicht gleich wieder die Hauptrolle im Hochwald spielen können, denn noch regiert Heidelbeere und anderes Grobfutter im Nahrungsangebot. Die feineren Sachen für das heiklere Rindvieh kommen erst, wenn Ziege oder Schaf den Boden bereitet und die Felsen geschliffen haben.

 

(Alles schon einmal dagewesen: Von den Römern wurde der Böhmerwald beidseits der Grenze „Silva Gabreta“ genannt (von keltisch  „gabros“ = Steinbock; vgl. auch lat. caper = Ziegenbock). Der heutige Hochwald war also ein Teil des alten „Steinbockwaldes“. Aus prähistorischer Zeit ist der mit der Hausziege sehr eng verwandte (sogar kreuzbare!) Steinbock für den Böhmerwald ebenfalls nachgewiesen)

 

Auch Pferde als ökologisch hochwichtige Nichtwiederkäuer werden zwar dazugehören, aber ebenfalls noch etwas im Hintergrund bleiben müssen.

 

 

Erfahrungen gibt es bereits

 

Umfassende Erfahrungen mit allen genannten Weidetierarten (tlw. auch in den Hochlagen und mit Schaf- und Ziegenhaltung unter den Bedingungen von Luchs-vorkommen im Umfeld) konnten bereits bei der Umsetzung des Artenhilfsprojektes „Böhmischer Enzian“ (Gentianella bohemica)  im Landkreis Freyung-Grafenau gewonnen werden und stehen zur Verfügung

Insgesamt über 30 Jahre intensive Beschäftigung mit der Thematik und praktische Erfahrung seitens des Projektbetreuers (Autor dieser Zeilen) - auch auf eigenen Flächen am Fuß des Dreisessel - können bei der konkreten Umsetzung ebenfalls genutzt werden.

 

 

 

Wie anfangen?

 

Eine gut geeignete Fläche für einen ersten Anfang wäre möglicherweise die stark felsige, von der Auffahrt zum Gasthaus zur Hälfte umschlossene und touristisch ohnehin am stärksten frequentierte Region südlich des Dreisesselgasthauses.

In diesem Bereich wäre die hohe touristische Anziehungskraft von Weidetieren nicht anderweitig von Nachteil. Das felsige Gelände ist ein ideales Terrain für Ziegen oder Schafe, zumal hier bereits natürliche Unterstände zum Schutz gegen Witterungsunbilden in Form von hohl liegenden Felsblöcken vorhanden sind.

Gleichzeitig bieten die großen Steilfelsen den Tieren auch gute Möglichkeiten zum Ruhen und Sonnen.

 

Ein Zaun ist nicht vonnöten, wohl aber Behirtung mit Hund (auch nachts wegen Luchs und evtl.Wolf). Mit einer Herde von zunächst etwa 15 –20  Ziegen/Schafen könnte man sich von hier aus langsam in die angrenzenden Bereiche entlang der Grenze weitertasten.

 

 

 

Was sagt der Eigentümer dazu?

 

Bisher ist es noch so, dass in vergleichbaren Fällen von den Bayerischen Staatsforsten nur hier und da und eher notgedrungen einem Druck von Seiten der Landschaftsökologie nachgegeben wird (siehe Anlage).

 

Es sollte aber nicht um „Nachgeben“ gehen, sondern eher um ein Aufgreifen der neu gewonnenen Erkenntnisse, denn es geht um den vitalen Baum !

 

(Ganzheitliche Landschaftsökologie kann keine Vielfalt auf Kosten der Bäume anstreben, sondern nur Vielfalt zu Gunsten der Vitalität des gesamten Ökosystems mit allen seinen Teilen im Auge haben.)

 

Sofern man aber dauerhaft auch nur das Rind aus größeren Landschaftsteilen aussperrt, wird in der weiteren Folge das Verschwinden eines ganzen Spektrums von natürlicherweise das Ökosystem Mitteleuropas prägenden Organismen  bewirkt.

 

Dies kann nicht zu Vitalität führen.

 

Zu wünschen wäre also, dass dieser Mangel, unter dem die Forstgehölze heute überall leiden,  erkannt und behoben wird.

Eine so wieder gewonnene Gesamtheit/Vollständigkeit der ökologischen Wirk-Faktoren wird auch eine Stabilisierung des jeweiligen Ökosystems zur Folge haben.

 

 

Was hätten wir aus forstlicher Sicht nötiger?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zukunftsweisend:

 

Ein Waldweide-Vorzeigeprojekt unter der

Federführung der Bayerischen Staatsforsten...

 

Zu wünschen wäre also, dass die Bayerischen Staatsforsten aus genannten guten Gründen die Initiative selbst ergreifen und im ureigensten, letztlich auch eminent ökonomischen Interesse zukunftsweisend vorangingen.

Bessere Voraussetzungen als im konkreten Fall am Dreiländerberg bieten sich nicht alle Tage und so sollte die Defensive verlassen und das Heft offensiv in die Hand genommen werden!

 

Die Einbindung von am Ort bereits in idealer Weise vorhandener Gastronomie, sowie der ebenfalls bereits vorhandenen touristischen Komponente bietet sich an und wird zum Erfolg des Projektes beitragen.

 

Umwelt- bzw. Almpraktika für Studenten und andere Interessierte, sowie die wissenschaftliche Begleitung und Dokumentation des Projekt-Verlaufes versprechen zusätzliche Perspektiven in vielerlei Hinsicht.

 

  

 

 

 

 

 

 

...auf dass der „Blumbesuch“[1] im alten Silva Gabreta

 

wieder lebendig werde...!

 

 

 

 

 

 

 

Anlage:

 

Grundsatzpapier der Bayerischen Staatsforsten zum Thema

 

„Waldweide ist wieder im Kommen“

 

von Wolfgang Sailer;   auch im Internet unter http://www.waldwissen.net/themen/waldbau/agroforstwirtschaft/lwf_waldweide_forstpolitisch_2007_DE zu finden.

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[1] „Blumbesuch“ = alte Bezeichnung für Waldweide im Bayerischen Wald

 

 



Autor:    Thomas Zipp,    Klausenweg 3,    94 089 Neureichenau,    Tel. 08583/1847,    mail:  thomas.zipp@web.de 

 

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