Wald und Weidetiere

 

30 Jahre Experimentierfreude mit „Bäume-fressenden Tieren“

 

... der größte Feind der Bäume  -  ist der Wald....

 

 

Erfahrungen - Gedanken - Thesen

 

 

Gute Gründe:

 

 

 

1000 Jahre „Baumsavanne“ in der Mitte Europas

 

Weidetiere all-überall und besonders auch im „Wald“.

 

Dieses Bild prägte die Landschaft Mitteleuropas über Jahrhunderte und seit Menschengedenken.

 

„Wald“ ist hier in Anführungszeichen gesetzt, denn dieser Wald hatte nichts gemein mit dem, was wir heute unter diesem Begriff verstehen.

Wald in seiner ursprünglichen Wortbedeutung ist laut Duden (ethymol. Wörterbuch):

 

(ackerbaulich) unbebautes Land; Weideland

schwed. vall =„Weide“; engl.. wold =„weites offenes (Hügel-) Land, Heideland“;

möglicherweise verwandt mit lat.vellere =„rupfen, zupfen, raufen“ (Laubheugewinnung)

 

 

Die heutige, forstwirtschaftlich begründete „Trennung von Wald und Weide“ gab es nicht.

 

Wald war Weide.

 

Indessen, von eintönigen, durch hohen Verbissdruck „entmischten“ Fichtenwäldern hören wir nichts. Im Gegenteil:

 

Nahezu die gesamte Artenvielfalt Mitteleuropas, die sich heutzutage zum ganz überwiegenden Teil außerhalb des Waldes findet, befand sich damals im Wald.

 

Weidetiere unter Bäumen war für die ökologischen Wechselbeziehungen der Lebensgemeinschaften ein wesentlich prägendes Element.

 

Wert oder Unwert dieser Baumlandschaften im forstwirtschaftlichen (holzwirtschaftlichen) Sinne hat uns hier zunächst nicht zu beschäftigen.

 

Mit diesem Wissen fällt es leichter, die „Trennung von Wald und Weide“ gedanklich wieder aufzuheben und sich dem Thema Weidetiere im Wald  freundschaftlich zu nähern.

Auf diesen Weg begab ich mich vor über 30 Jahren, habe mit vielerlei Tierarten (vom Elch bis zur Ziege) gearbeitet, und manche offene Frage gefunden.

 

Daneben auch einige Antworten:

Wer frisst die Fichte?

 

Alle Baumarten - auch giftige - werden von Weidetieren verbissen.

Von den häufigeren Baumarten wird im Sommerhalbjahr die Fichte am wenigsten genutzt, im Winter allerdings rangiert sie als wintergrüne Nahrungspflanze in der Attraktivität vor vielen Laubhölzern (je nach Tierart unterschiedlich).

Steinwild, Ziege und Rotwild verbeißen und schälen sie am intensivsten, danach folgen Schafe, Pferde, Rinder, Rehe und Elche.

Weder Wild- noch Haustiere haben heutzutage echte Hungerzeiten durchzustehen. In früheren Zeiten jedoch, war Nahrungsmangel auch bei den Haustieren zumindest am Ende jeden Winters allgegenwärtig.

Hunger erweitert das Nahrungsspektrum aller Weidetiere noch einmal radikal (Pflanzen oder Pflanzenteile, die im Sommer kaum angerührt wurden, können in Mangelzeiten zur Hauptnahrung werden: Borstgras und Fichten werden zur Delikatesse!).

 

Dadurch verschärft sich der Druck - besonders auch auf die Fichte - noch um ein Vielfaches.

 

(Fichtenzweige wurden früher im Bayerischen Wald kleingehackt unter das Futter für die Kühe gemischt - und ihre früher hier wildlebenden Verwandten waren nicht wählerischer).

 

Nimmt man noch hinzu, dass es ja auch noch regelrechte Fichten-„Liebhaber“, z. B. aus dem Reich der sechsbeinigen Pflanzenfresser gibt, so kann das beim Thema Wilddichte oder gar Waldweide oft bemühte „Schreck-Bild“ von der zu befürchtenden Fichtenwüste endgültig heiterer Gelassenheit weichen.

 

Fichtenwüste gab und gibt es real nur auf Grund der altehrwürdigen Forstlichen Reinertragslehre.

 

 

Wieviele Tiere verträgt das Land?

 

Die „natürliche“ Tierdichte/Wilddichte Mitteleuropas kennen wir nicht.

 

Sehr genau wissen wir aber aus jahrhundertelanger, immer wieder bestätigter, landwirtschaftlicher Erfahrung, wieviele Tiere unsere mitteleuropäische Landschaft ernähren kann.

Einen Hektar Land ( = 10.000 qm) braucht eine Kuh zum Sattwerden übers Jahr.

In höheren Lagen können es auch einmal 1 ½ Hektar sein.

 

In klimatisch begünstigten Regionen und bei besten Weideverhältnissen (strukturreiche Parklandschaft / hutweideähnliches Buschland) kommt sie damit sogar ohne menschliche Hilfe über den Winter (ohne jegliche Zufütterung! Praxis-Beispiele nachfolgend!).

Die derzeitigen Großflächen-Versuche in den Niederlanden (Oostvaardersplassen u.a.) nähern sich, wie zu erwarten war, langsam diesen Werten.

 

Statt „Kuh“ kann auch „500 kg Pflanzenfresser“ ( = 1 „Großvieheinheit“) gesetzt werden.

 

Eine „Großvieheinheit“ kann zwar nur ein Hilfs- und Näherungswert sein, da man natürlich Pferd und Ziege physiologisch nicht über einen Kamm scheren kann. Jedoch hat es sich gezeigt, dass dieser Maßstab sich in der Praxis ( als Faustzahl!) sehr gut handhaben lässt  und eben gerade auch zur Anwendung bei sehr unterschiedlichen Tierarten gut geeignet ist.  Tierhalterisch-Ökologisches Fachwissen ersetzt er freilich nicht!  

 

Diese Erfahrungswerte insbesondere aus der vorindustriellen Landwirtschaft (als der Tierbestand noch von der vorhandenen Fläche ernährt werden musste und nicht von zugekauften Futtermitteln) werden in der Landschaftsökologie zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Es wird sich herausstellen, dass es in den meisten Fällen eine sehr einfache Beziehung zwischen der allgemeinen Fruchtbarkeit einer Landschaft (im landwirtschaftlichen Sinne) und der natürlichen Dichte eines Wildtier-Bestandes der gleichen Landschaft gibt.

 

Für Landwirte ist das eher eine Binsenweisheit.

 

Ökologen und Forstwirte meinen es jedoch oft besser zu wissen und in Gebieten mit               – im weltweiten Vergleich – sehr hoher Fruchtbarkeit und dementsprechend hohen Haustierdichten, eine extrem niedrige natürliche Wildtierdichte postulieren zu müssen.

 

Es ist jedoch sehr die Frage, ob hier nicht der Wunsch Vater des Gedankens ist...!

 

In außereuropäischen Ländern, in denen noch von einem Nebeneinander von Naturlandschaft und Kulturlandschaft gesprochen werden kann, ist dieser Zusammenhang allerdings kein Diskussionsthema, sondern eine täglich erlebbare Selbstverständlichkeit.

 

Haustiere und Wildtiere kann man zwar nicht gleich setzen, im kritischen Vergleich muss ein Ergebnis jedoch keineswegs im Sinne geringer natürlicher Wilddichten ausfallen, da bei den wilden Vorfahren heutiger Haustiere z. B. grundsätzlich von geringeren Ansprüchen an das Nahrungsangebot ausgegangen werden kann, die Tiere also zumindest zur reinen Nahrungsaufnahme sogar mit noch deutlich geringeren Flächengrößen auskommen als ihre domestizierten Nachkommen.

 

Hier sind also für uns „aufgeklärte Mitteleuropäer“ durchaus noch Überraschungen zu erwarten.

 

Völlig unterschätzt, und häufig nur als „Eutrophierung“ (Aufdüngung) betrachtet, wird hierzulande auch der vielfältig-positive Einfluss der Exkremente unterschiedlicher Weidetier-Arten auf Gesundheit und Vitalität  der Baumbestände, sowie über die biologischen Vorgänge im Boden auf die Gesamt-Artenvielfalt und damit auch auf die Vitalität des gesamten Lebensraumes.  

 

Bis zur letztendlichen Klärung dieser Fragen bleibt aber immerhin festzuhalten:

 

Wir kennen, wie oben dargelegt, durchaus das Maß für die potenziell mögliche Tierdichte in mitteleuropäischen Landschaften, also das Maß für die natürliche Kapazität der Landschaft.

 

 

Wieviele Tiere verträgt ein Nationalpark?

 

Wir kennen auch das Maß für die geringst-mögliche (ökol. Minimum-) Tierdichte.

Sie ist zu finden in unseren Nationalparks.

Geringere Dichten sind kaum möglich, wenn auch noch große Beutegreifer, wie Luchs und Wolf, überlebensfähig  sein sollen. 

Rothirsche im Nationalpark   -   Weidetiere in der Naturlandschaft

 

Die heutzutage in deutschen Nationalparks allgemein als „natürlich“ betrachtete sehr geringe Richtgröße für Rothirschdichten von nur etwa einem Tier pro 100 ha stammt aus forstwirtschaftlichen Zusammenhängen und hat (hatte?) hier auch ihre Berechtigung.

 

„Natürlich“ ist sie sicher nicht; mit „forstwirtschaftlich tragbar“ ist sie besser bezeichnet. 

 

Gesamtökologisch betrachtet, wird jedoch durch derart geringe Wilddichten in erster Linie

 

eine gravierende Mangelsituation für jeden einzelnen Baum erzeugt.

 

Lichtmangel durch engen Stand ist offenkundig.

Alle Bäume eines Bestandes stehen in einem lebenslangen Wettlauf im Kampf um Licht und versuchen, wenigstens das zum Überleben notwendige Minimum an Blattfläche in der reliktartigen, extrem nach oben verlagerten Krone zu bilden. Der größte Teil der potenziellen Assimilationsfläche geht dem einzelnen Baum jedoch durch die auf großer Stammlänge absterbenden Äste verloren.

Wurzelkonkurrenz mit allen hinlänglich bekannten Folgen tritt noch hinzu.

 

Chronische Unterversorgung bewirkt Vitalitätsverluste, die sich letztlich auch in mangelnder Abwehrkraft der Baumbestände gegenüber Krankheiten, Insektenbefall und anderen Umwelteinflüssen verschiedenster Art äußert.

 

Mahnungen – von Forstwissenschaftlern und Ökologen - zum Umdenken gibt es, sie werden jedoch noch kaum wahrgenommen.

 

Bäume wollen wachsen, alt werden und eine arttypische und sprichwörtliche Krone tragen.

Kronen im wirklichen Sinne haben aber nur „Baumgestalten“ im Freistand. Auch das Höchstalter der jeweiligen Baumart wird aus oben geschilderten Gründen bekanntermaßen niemals im geschlossenen Bestand, sondern immer nur von solitär stehenden „Naturdenkmälern“ erreicht.

 

Will man nicht nur „Natur Natur sein lassen“, sondern auch „Bäume Baumpersönlichkeiten werden lassen“, dann muss für die Voraussetzungen zum Freistand gesorgt werden.

Soll der Mensch nicht eingreifen, z. B. in einem Nationalpark, dann kommt man zu der überraschenden Erkenntnis:

 

Die besten Freunde der Bäume sind die Weidetiere und das Wild im Wald

 

 

Wo viele weidende Tiere vorhanden sind, werden viele Bäumchen gefressen, aber dabei wird Raum geschaffen für Bäume.

 

Der „Goldene Zahn des Wildes“ ...?!

(...war ehemals in Forstkreisen ein bekannter Begriff...)

 

Je nach Intensität dieses Zahnes, bzw. der Zusammensetzung der insgesamt weidenden Wild- und Haustier-Arten, bzw. deren wildlebenden Vorfahren, schafft er aber möglicherweise auch noch Raum für die lichtliebenden Begleitarten der Bäume, bis hin zu Dornsträuchern  und der großen Artenvielfalt der früher allgegenwärtigen Hutweiden.

Hier schließt sich der Kreis:

Wenn die Landschaft durch die weidenden Tiere und vielfältige andere Einflüsse einen Grad der Offenheit erreicht hat, der auch den lichtliebenden Dorn- und Stachelträgern wieder Ausbreitung ermöglicht, dann haben auch die verbissempfindlichsten Baumarten keinerlei Verjüngungsprobleme mehr, da sie ihre Jugendphase im sicheren Schutz von wehrhaftem Buschwerk - nahezu unerreichbar für viele „Bäumefresser“ verbringen und so da und dort immer wieder markante Einzelbäume aller Art aufwachsen, die sich lokal und temporär durchaus auch wieder zu geschlossenen Waldbereichen zusammenschließen können.

 

Diese sogenannte Dornstrauch- oder Käfig-Verjüngung, ist heutzutage gut auf Truppenübungsplätzen mit ihren oft hohen Wilddichten, oder bei langjähriger hutweideähnlicher Extensivbeweidung mit Haustieren zu beobachten.   

 

Von Letzterem soll jetzt die Rede sein:

 

 

 

 

Ziegen auf dem „Wastei-Schachten“:

 

Seit fast 25 Jahren (seit 1983) wird das ca. 2,5 ha große hutweideartige Areal auf einer großen Waldlichtung am Südhang des Dreisessel-Berges (Bayerischer Wald) in 700 m Seehöhe mit Milchziegen (Bayerwald Misch-Rasse) beweidet.

 

Die Weidegründe samt der dazugehörigen Hofstelle befinden sich im Eigentum des Autors und seiner Familie und sind auch Wohnort Derselben.

 

Das Gelände ist überwiegend südexponiert, die beweideten Flächen sind äußerst vielfältig strukturiert mit teils sehr mageren, teils nährstoffreichen, trockenen und sehr nassen Bereichen in allen Übergängen und mit entsprechend großem Artenreichtum.

 

Dazu kommt eine reichhaltige Gehölzvegetation, bestehend u. a. aus alten Eichen, Buchen und Fichten über Weiden, Birken und Kiefern, bis hin zu Dornsträuchern und Obstgehölzen, die alle auch den Ziegen zur Verfügung stehen.

 

Da Ziegen ein sehr breites Nahrungsspektrum haben, also physiologisch auf eine hohe Pflanzenarten-Diversität eingerichtet sind, ist eine Ziegenweide in dieser Vielfältigkeit als Idealfall zu bezeichnen.

 

Die im gegebenen Fall – aus landwirtschaftlicher Sicht gesehen - sehr geringe Tierdichte von nur drei erwachsenen Tieren mit meist vier Jungtieren auf  2,5 ha Weidefläche ( = 2 Ziegen/ha = ca. 0,3 Großvieheinheiten/ha) bewirkt zudem, dass Nahrung im Überfluss vorhanden ist und die Tiere eine optimale Auswahlmöglichkeit bei der Nahrungsaufnahme haben.

 

Die Beobachtungen zeigen, dass diese Auswahlmöglichkeiten auch intensiv genutzt werden, indem über den Tag verteilt - mit gewissen jahreszeitlichen Schwankungen und Intensitätsabstufungen – die gesamte Fläche abgegangen und befressen wird.

 

 

 

 

Wesentliche Erkenntnisse waren:

 

·        die Fläche wurde - abgesehen von den stallfernsten Bereichen – definitiv und ausschließlich vom Weideeinfluss der  Ziegen offengehalten.

 

·        bei Beweidungsbeginn vorhandene Jungbäume aller Art wurden zunächst stark verbissen und verschwanden nach und nach vollständig..

·        trotz zeitweiser Schutzmaßnahmen (Schäl-Schutzanstrich) wurde auch ein kleines Fichtenjungwäldchen (ca.1000 qm) vollständig zerstört. Weitere - jetzt ca. 35-jährige Fichten – sind momentan ohne Schutz und in akuter Gefahr, teilweise wurden sie auch schon stark geschält.

·        die Fläche wurde also auch weiter geöffnet und den vorhandenen Altbäumen wurde dadurch weiterer Raum zur arttypischen Entwicklung und Kronen-Ausbildung geschaffen.

·        Es wurde versucht, Himbeeren, Brombeeren, Wildrosen, Schlehen, Weißdorn, Wachholder und andere Kleingehölze auf der Offenfläche anzusiedeln, um auch bei Schneelage attraktives Futter auf der Fläche anbieten zu können und Dornstrauch-verjüngung zu initiieren. Dies konnte bisher jedoch nur stellenweise und in Anfängen erreicht werden, da die Ziegen auch Dorniges und Stacheliges sehr stark verbeißen, hierfür also längere Zeiträume ins Auge gefasst werden müssen (die Tiere werden in ihrer Verbissfähigkeit wohl nur noch von ihren nächsten Verwandten, den früher auch in unseren Mittelgebirgen heimischen Steinböcken übertroffen).

·        die Fläche ist, was den Ziegenbestand angeht, stark unterbesetzt. Sie könnte etwa den dreifachen Besatz an erwachsenen Tieren + Nachwuchs ernähren. Das heißt, die Verbissbelastung wäre dann noch um das Dreifache höher.

·        die zwar stark verbissenen aber doch aufkommenden Jungfichten im stallfernsten äußersten Osten der Fläche sind mit dem vorgenannten Punkt in Zusammenhang zu sehen. Die Tiere haben es auf Grund des überreichlichen Nahrungsangebotes einfach nicht nötig, so weit zu laufen...!

·        einige dieser - zunächst aufgekommenen – Jungbäume wurden jedoch, nachdem sie aus der verbissenen Kugelform aufgewachsen waren, oberhalb der „Kugel“ bereits wieder geschält und so zum Absterben gebracht. Der Rest dient in schneearmen Wintern als „Grünfutter“ und dürfte daher gerade den diesjährigen Winter (06/07) kaum überleben.

·        Gehölze werden – in Stallnähe – regelmäßig zugefüttert. (Obstschnitt, sonstiges Abfallholz). Ein weiterer Grund für die Ziegen, nicht unnötig die stallfernsten Bereiche aufzusuchen und „Muskeln und Gelenke zu schonen“.

·        diese Gehölz-Zufütterung ist auch als „Ablenkungsfütterung“ zu verstehen, um etwas Druck von sonst möglicherweise gefährdeten jungen (tlw. gepflanzten) Dornsträuchern zu nehmen, hat aber auch das geschilderte Aufkommen von Jungfichten am Rand der Fläche zur Folge.

·        im Winter werden bei Schneelage bis ca. 50 cm von den Tieren „Wanderungen“ zu den Gehölzbeständen der Fläche unternommen (nach der ersten Sättigung mit Heu). Der Verbiss ist dann – mangels anderer Frisch-Nahrung - noch schärfer als im Sommer. Die Intensität desselben ist durch mehr oder weniger Heufütterung steuerbar; da es sich bei den Tieren aber nicht um Steinböcke handelt, sondern um deren mediterane Verwandtschaft, sind hier Grenzen gesetzt (Ziegen können ggf. auch mit reiner Gehölznahrung durch den Winter gebracht werden, sie überleben auf diese Weise in Einzelfällen sogar ohne menschliche Hilfe im Hochgebirge. Gezielte „Tests“ dieser Art sind jedoch aus naheliegenden Gründen abzulehnen und auch nicht notwendig , da derartige Fähigkeiten von der wildlebenden Verwandtschaft sowieso bekannt sind).

·        Die Schneehöhe an sich spielt eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist das vorhandene oder nicht vorhandene Nahrungsangebot. Bei ausreichend vorhandenem Angebot (im Idealfall Weichholzgebüsch) pflügen die Tiere durch jede Schneehöhe.   

 

·        Die auf den Flächen vor Beweidungsbeginn vorgefundene Gesamt-Artenvielfalt wurde erhalten. Einzelne Arten, z. B. Senecio rivularis, wurden gefördert, andere Arten, z. B. ein vorhandener Massenbestand an Silberdisteln, wurde zurückgedrängt.

·        Neophyten, wie Indisches Springkraut, Lupine und Kanadische Goldrute, die allesamt in Randbereichen vorkamen, konnten sich allenfalls in Einzelexemplaren gegen den Verbissdruck der Ziegen durchsetzen, können also als integriert betrachtet werden.

·        Versuche mit Riesenbärenklau in Stallnähe bestätigten die bereits anderenorts festgestellte hohe Attraktivität der Pflanze für Weidetiere. Sie wird durch intensiven Verbiss im vegetativen Stadium gehalten und kommt nur in Ausnahmefällen zur Blüte.

·        „Verbrennungen“ durch Riesenbärenklau gibt es bei dunkel-pigmentierten Tieren (und Menschen?!) nach derzeitigem Kenntnisstand offenbar nicht, bzw. nur sehr selten. Im konkreten Fall gab es auch bei hellhäutigen Tieren keinerlei diesbezügliche Probleme.

·        Japan-Knöterich wird ebenfalls gefressen, in welcher Intensität und mit welchen langfristigen Folgen, konnte noch nicht beobachtet werden.

 

·        Auf (gesamtökologisch und tierzüchterisch höchst fragwürdige) Parasitenbekämpfung konnte nahezu vollständig verzichtet werden. Sie wurde nur bei konkret erkennbarem Bedarf und nur bei Einzeltieren durchgeführt. In konkreten Zahlen: in 24 Jahren fünf Einzelgaben. Die Tiere beherbergen durchaus Parasiten, wie hin und wieder am Kot zu sehen ist. Die Gesamtqualität des Lebensraumes wirkt aber offenbar so positiv auf die Konstitution der Tiere, dass die Parasiten so gut wie nie zum Problem werden. Selbstmedikation dürfte auf Grund des vielfältigen Nahrungsangebotes hier ebenfalls eine Rolle spielen. Die Tiere fressen mit offensichtlichem Behagen Rainfarn, Beifuss, Walnussblätter und andere als wurmtreibend bekannte Pflanzen und hin und wieder sogar Blauen Eisenhut (gefährlichste Giftpflanze Europas; früher Pfeilgift!).

 

·        Wird Parasitenbekämpfung ohne Differenzierung als Routinemaßnahme – womöglich mehrmals jährlich - durchgeführt, betreibt man Wiedererzüchtung von Haustiervarietäten, die auf Grund ihrer hohen Anfälligkeit gegenüber Parasiten, glücklicherweise bereits ausgestorben waren...

 

·        Mineralfutter steht nur im Winter ständig zur Verfügung, wird aber kaum angenommen.     Die Ziegen sind gesund, in einem sehr guten Ernährungszustand, regelmäßig fruchtbar, haben ein glänzendes Fell und geben dazu auch noch reichlich Milch.

 

·        Der Luchs kommt in der Umgebung regelmäßig vor, gerissene Rehe wurden mehrfach gefunden. Obwohl die Ziegen Tag und Nacht frei auf der Weide sind, wurde bisher kein Tier gerissen. Dies dürfte in erster Linie auf den sehr gut installierten Elektrozaun             ( Zaunspannung 5000 Volt, Impulsenergie  9,8 Joule ) zurückzuführen sein, daneben aber auch auf den Umstand, dass die erwachsenen Tiere Glocken tragen.

 

 

 

Für die Zukunft ist es geplant, die eher nährstoffreichere Westhälfte des Areals nur noch im frühen Frühjahr und im Herbst zu bestoßen, um das Aufkommen von – derzeit unter starkem Verbissdruck stehenden - Hochstauden aller Art zu erleichtern und damit eine weitere Vervielfältigung des Lebensraumangebotes (vor allem in Richtung Insekten, Spinnen u.a. Kleinlebewesen) zu erreichen.

Nach den geschilderten Erfahrungen, gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass eine solche Fläche irgendwann einmal ihre Weidetiere durch „Zuwachsen“ vertreiben könnte.

Schon gar nicht, wenn man die Kapazität in Bezug auf die Bestandsdichte ausreizt. Täte man das, dann würde sich die Fläche noch weiter vergrößern...!

 

 

Weitere Praxisbeispiele

 

Beispiel für hohe Besatzdichte ohne Winterfütterung und  ohne Wintereinstallung in wintermildem Klima (Lüneburger Heide) mit Schafen (Heidschnucken)

(Quelle: Schäferin U. Sauer, mdl.)

 

·        Gesamtflächengröße ca. 70 ha, davon

·        ca. 60 ha Calluna-Heide, tlw. verbuscht mit Kiefer, Eiche u.a., sowie

·        ca. 10 ha im Sommer von Rindern abgeweidete Fettweide

·        Besatz 200 Schafe (incl. 3 Ziegen)

·        Fläche wird als Winterweide ca. 5-6 Monate genutzt

 

 

Ergebnis:

 

·        Die Calluna-Fläche wird nicht vollständig genutzt, es könnten noch ca. 100 Schafe mehr aufgetrieben werden.

·        Fläche wird daher nachgemäht

·        Gehölzverbiss ist nicht zufriedenstellend (Besatz zu gering, bzw. zu wenig Ziegen)

·        bis 20 cm Schneehöhe wird das Futter von den Tieren (auch den Ziegen) freigescharrt

·        bei höherer Schneelage ( = durchschnittlich an 2 Tagen pro Jahr) wird Heu zugefüttert; in früheren Zeiten gab es diesen Luxus oft auch nicht.

·        bei Beginn des Frühjahrswachstums kommen die Tiere auf andere Flächen; Calluna-Bereich wird über Sommer nicht genutzt, Rinderweide wird wieder mit Rindern bestoßen.

·        da die Flächen nicht einmal im Winter vollständig genutzt werden, wäre eine zusätzliche Sommerbeweidung (Ganzjahresbeweidung) bedingt durch den zusätzlichen Futterzuwachs im Sommer selbstverständlich möglich, was ja auch durch die zusätzliche Rinderbeweidung deutlich wird.  

·        bei 1 Schaf = 0,15 Großvieheinheiten (GV) bedeutet dies einen Flächenbedarf von ca. 2,3 ha pro GV (bei 200 Schafen als derzeitigem Besatz) bis ca. 1,5 ha pro GV (bei 300 Schafen als geschätztem möglichen Besatz).

 

 

 

Das bedeutet im Ergebnis:

 

Der Gesamt-Flächenbedarf  für Ganzjahresbeweidung ohne Winterfütterung und ohne Wintereinstallung bei insgesamt mittleren Boden- und Klimaverhältnissen beträgt

 

ca. 2 ha Fläche pro Großvieheinheit (GV)

(wildtiernahe Extensivrasse)

 

 

 

Weitere Erfahrungswerte aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung und der Landschaftsökologie zum Flächenbedarf:

 

Flächenbedarf incl. der Flächen zur Futterwerbung für die Winterfütterung:

Hochlagen Bayerischer Wald (Philippsreut, 1000m ü. NN):_____  1,5 ha pro GV

Mittl. Lage Bayerischer Wald (mitteleuropäischer Mittelwert):___ 1,0 ha pro GV

Beste Lage Niederbayrischer „Gäuboden“: ___________________­­­­­0,5 ha pro GV

(Quelle: Amt für Landwirtschaft und Tierzucht, Waldkirchen (H. Peter))

 

Waldweide im Sommerhalbjahr in den

Hochlagen des Bayerischen Waldes:__________   ca. 0,5 bis 5 ha pro Jungrind                      (Quelle: Ingeborg Seyfert,

„Die Schachten des Bayerischen Waldes“)

 

Ganzjährige Weidehaltung von

Heidschnucken (ohne Winterfütterung)

in der Lüneburger Heide (s.o.)_______________  ca. 2 ha pro GV

(Quelle: Schäferin U. Sauer, mdl.)

 

Ganzjährige Weidehaltung von

Schottischen Hochlandrindern

(Highland Cattle) in schottischer

Moorlandschaft ohne Winterfütterung:_________ ca. 5 ha pro GV

 

Ganzjährige Weidehaltung von

Schottischen Hochlandrindern in den

Rocky Mountains

(sehr kalt und schneereich; halboffene

Buschlandschaft; ohne Winterfütterung):_______ ca. 10-12 ha pro GV

(Quelle: Trautmannsberger,

Verband Deutscher Highland Cattle Züchter u. Halter e.V.)

 

Zur weiteren Beachtung am Rande:

Empfehlung für die Besatzdichte von

Rotwild in landwirtschaftlich

orientierter Gehegehaltung: __________________ca. 1 ha pro GV (kein Unterschied zum Haustier!)

(Quelle: Landratsamt Freyung, Untere Jagdbehörde / Bayern;

 ebenso: Untere Landschaftsbehörde Coesfeld / Nordrhein-Westfalen)

 

 

 

Bleibt letztendlich Festzuhalten:

 

·        die mitteleuropäische Landschaft kann von ihrer Potenz her eine sehr hohe Tierdichte ernähren.

·        seit es Aufzeichnungen zu diesem Sachverhalt gibt, wurden diese hohen Kapazitäten auch von Mensch, Haus- und Wildtier genutzt.

·        die in den Aufzeichnungen beschriebenen reichen Wildbestände früherer Jahrhunderte ernährten sich nie von etwas anderem, als von der Landschaft in der sie lebten.

·        in der Konkurrenzsituation zwischen Wildtier und domestiziertem Wildtier (Haustier) gewann das Haustier mit Hilfe des Menschen an „Boden“ im Sinne des Wortes. Die Gesamt-Tierdichte änderte sich dadurch aber nicht, sondern orientiert sich bis heute an dem, was das Land ernähren kann.

·        die „Auerochsen“ in unseren Ställen sind daher möglicherweise der exakte Ausgleich für das, was in der „Freien Wildbahn“ verschwunden ist.

 

(wie die Verhältnisse in der vom Menschen noch unbeeinflussten Naturlandschaft waren, wissen wir nicht, können wir uns allenfalls durch Mutmaßungen, antike (tendenziöse!) Schilderungen vom „wilden grauslichen Barbarenland“, durch vorsichtige Analogieschlüsse und aus den – genau besehen doch eher vagen und bruchstückhaften – Erkenntnissen aus der Pollenanalyse und anderen Zweigen der Vorgeschichtsforschung erschließen.

Alle diese Quellen liefern keine eindeutigen Fakten, deuten aber durchaus darauf hin, dass in der Gemengelage Mitteleuropas alle möglichen Lebensräume in vielfältigsten Übergängen und innigstem Ineinanderfließen nebeneinander vorkamen und weder die überall großflächig offene Baumsavanne, noch der alles bedeckende großflächig geschlossene „Urwald“, sondern das „Sowohl als Auch“ des Rätsels Lösung gewesen sein wird...)

 

 

 

Beispiel für Flächenbedarf und Tierdichten in außereuropäischen Naturlandschaften

 

Amboseli-Nationalpark, Ostafrika

(besterforschte und -dokumentierte Elefantenpopulation Afrikas)

(Quelle: Cynthia Moss/Martyn Colbeck, „Das Jahr der Elefanten“, BBC Books, London 1997)

Fläche: 390 qkm

Niederschläge: 300 mm/Jahr (6-7 Monate Trockenzeit/Vegetationspause/ ...„Winter“...!)

Landschaft: Wüstenregionen im Westen, ansonsten Savannen- und Baumsavannen-Landschaft, Buschland und im Kernbereich tlw. Sumpfgebiete (vom Kilimandscharo gespeist; hier keine Vegetationspause).

Biomasseproduktion: in den Sumpfgebieten höhere, in den großflächig trockenen Bereichen geringere Biomasseproduktion im Vergleich zu mitteleuropäischen Werten.

Bestand: ca. 30 Elefantenfamilien ( = ca. 330 dokumentierte(!) Einzeltiere) halten sich ständig im Park auf,

ca. 425 Einzeltiere halten sich nur zeitweise im Park auf. Dies ergibt eineBestandsdichte von

 

 

mindestens einem bis maximal zwei Elefanten pro 100 ha

(ca. 3000 bis 7000 kg je erwachsenes Tier)

 

(... ...vergl.: 1 Stück Rotwild (ca. 100 kg) pro 100 ha in deutschen Nationalparks... ...)

 

Völlig unberücksichtigt geblieben sind dabei allerdings die auf der gleichen Fläche noch zusätzlich vorkommenden Bestände der Zebras, Büffel, Wildebeest, Gazellen u.a.; der Gesamt-Bestand der Pflanzenfresser ist also sogar noch wesentlich höher.

 

Manch Einer wird hier einwenden, man könne Afrika nicht mit Mitteleuropa vergleichen. Dem ist zuzustimmen, wenn man einschränkt: „Viele“ können es nicht!

 

Die Tierwelt jedenfalls kann es und tut es seit Jahrtausenden.

 

 

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Autor:   Thomas Zipp,   Klausenweg 3,   94 089 Neureichenau,   Tel.: 08583 / 1847,   e-mail: thomas.zipp@web.de

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